ROSA GUMMISTIEFEL

Eigentlich wollte ich ja Gelb. Gummistiefel müssen gelb sein, genau wie Regenjacken.

Wenn man Anfang der Siebziger geboren wurde, im Norden der geteilten Republik, wächst man nicht nur mit vier Fernsehkanälen auf, sondern auch umgeben von Friesennerzen, Südwestern und ausschließlich gelben Gummistiefeln. Noch heute freue ich mich, wenn mir Menschen in diesem Outfit entgegenkommen – es wohnt einem doch mehr Lokalpatriotismus inne, als man so glauben möchte.

Nun ist es mitunter bei Stiefeln wie bei Partnern – man bekommt dann doch etwas vollkommen anderes, als man sich im Kopf so als Idealbild ausgemalt hatte. Und oft ist jenes dann um Längen besser. So wollte es das Schicksal, dass ich zum falschen Zeitpunkt mit der falschen Fußlänge am richtigen Ort suchte und fand. Gummistiefel ja, aber statt im gesuchten und geliebten Gelb in einem erstaunlich laustarken Rosa. Rosa! Ja bin ich denn ein Mädchen?!

Knurrend probierte ich sie an. Und wie ich da so in hochgekrempelten Jeans mit meinen rosa Gummistiefeln in den schmeichelnden Spiegel schauend stand, vernahm ich ein leises Pfeifen. Sehr, sehr leise zunächst. Doch je mehr ich mich darauf konzentrierte, desto klarer wurde es. Und es war nicht nur ein Pfeifen, es war auch ein Singen, gefolgt von einem ausgelassenen Kichern, mitunter gar ein Glucksen!
Ok, ok, es ist also soweit. Ich werde wahnsinnig, dachte ich schicksalsergeben. Ich stehe allein in einem Raum vor einem Spiegel und lausche der unverschämt guten Laune meiner rosa Gummistiefel. Da liegt man jahrelang beim Therapeuten auf der Couch, aber auf so etwas wird man nirgendwo vorbereitet.

Die Lautäußerungen der Gummigesellen waren schräg, ohne Zweifel – aber sie waren auch so hocherfreulich und ansteckend, dass ich mich dabei ertappte, mitzukichern und zu singen! Überaus irritiert und fröhlich trat ich hinaus, und nach kurzer Zeit entbrach den dicken Wolken ein gepflegter Guss, in den ich mich stürzte und in dessen entstehende Pfützen ich sprang, meine Hose, sogar meine Jacke ausgelassen juchzend bekleckernd. Ich rannte, hüpfte, ließ mich ins Gras fallen und kugelte den Deich hinab, über ausgelassene Flatulenzen überschwänglich gackernd.

Vollkommen außer Atem setzte ich mich kurz auf eine Bank, um bald darauf in würdevollem und meinem fortgeschrittenen Alter entsprechendem Tempo den Heimweg anzutreten. Unter mir kicherte und sang es weiter, je unwirtlicher das Wetter sich zeigte, desto lauter.

Die wenigen Deichspazierenden, die mich und meine Gummistiefel sahen, lächelten durch das Grau des Regentages. Da wusste ich – sie sind anders, als ich sie mir erträumte, aber wir sind füreinander bestimmt.